Schlagwort: Zensur

Die Grünen und Zensursula

Heute hat eine junge Dame an Bekanntheit gewonnen, die auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen eine Rede gehalten hat: Nora Reich (nicht zu verwechseln mit der Handballerin Nora Reiche). Es geht um die geplanten Sperren von Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten, wobei Nora sich fast ausschließlich der Argumentation von Ursula von der Leyen bedient und auch nicht davor halt macht, die bereits widerlegten oder zumindest angezweifelten „Fakten“ zu verwenden.

DirektNora

Adrian Lang
hat daraufhin eine offene E-Mail an Nora Reich verfaßt und Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist sogar direkt nach ihr an das Rednerpult getreten, um darzustellen, wie das mit der Petition gegen Zensursula wirklich gemeint ist:

DirektMarkus

Dass die Grünen durchaus Kompetenzen im Bereich Internet und neuen Medien haben, beweist außerdem Julia Seeliger mit ihrer Rede, in der sie auch auf die Problematik der Internetsperren sowie auf freie Software (Stichwort Linux) eingeht:

DirektJulia

Weitere Reden von der BDK liefert der YouTube-Kanal der Grünen.

50.000 gegen Zensursula. Und steigend.

Heute vor genau drei Wochen unterzeichneten Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (Zensursula) und 5 Internetserviceprovider (ISP) einen Vertrag, mit dem sich die Firmen verpflichteten, Internetseiten mit kinderpornografischen Inhalten zu sperren, die sie über Listen direkt vom Bundeskriminalamt (BKA) mitgeteilt bekommen. Zeitgleich demonstrierten rund 250 Bürger vor dem Bundespresseamt gegen diesen Vertrag, da sie massive Eingriffe in ihre Grundrechte durch Internetzensur befürchteten.

Am 22. April 2009 protestierte eines der bekanntesten deutschen Weblogs, Spreeblick, gegen die Verabschiedung des Zensurgesetzes. An diesem Tag war das Blog nicht erreichbar, es wurde nur die Protestseite (Vorsicht, performancelastig!) angezeigt, auf der sich Besucher in eine Weltkarte eintragen konnten, um ihre Unterstützung zu bekunden. Dies taten 8.260 Menschen.

Vergangenen Montag, am 04. Mai 2009, startete eine Online-Petition beim Deutschen Bundestag, die bereits am ersten Tag von 16.000 Menschen unterzeichnet wurde. Heute am frühen Morgen wurde die „magische“ Zahl von 50.000 Mitzeichnern geknackt. Es wird also eine öffentliche Anhörung zu dieser Petition geben.

Noch bis zum 16. Juni 2009 kann die Petition unterstützt werden, die die erfolgreichste aller Zeiten werden kann. Dazu wäre 128.194 gültige Unterstützer notwendig.

Abschließend ein Zitat von netzpolitik.org:

Falls noch jemand eine Argumentationshilfe braucht, warum auch Nichtnetzbewohner die Petition gegen Internetzensur unterzeichnen sollten, kann ich diese beiden Texte empfehlen: Die Petitionsmail von Max Winde (1 Seite, schön kompakt) und diesen Infotext für Einsteiger von Christian Wöhrl (4 Seiten, PDF, mit Hintergründen).

Mitzeichen! Danke.

Petition gegen Internetsperren – Mitmachen!

Es ist gar nicht so lange her, da lief die vielbeachtete Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen. 52973 Unterstützer fanden sich damals und es wurde bei Twitter sehr kontrovers darüber diskutiert, denn unter den Microbloggern gab es Befürworter und Ablehner der bedingungslosen Grundeinkommens.

Nun gibt es eine neue wichtige Petition, die sich gegen die Internetsperren der Frau von der Leyen richtet: Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten. Und wieder ist eine Petition Hauptthema bei Twitter, doch diesmal gibt es keine zwei Meinungen im Internet. Das schlägt sich auch auf die Unterstützerzahl nieder, heute vormittag habe ich als Unterstützer Nummer 166 mitgezeichnet, jetzt um kurz nach 21 Uhr sind es schon über 10.000! Es wird spannend, wo das noch hingeht, denn die Mitzeichnungsfrist läuft noch bis zum 16.06.2009.

Jens Scholz: Warum es um Zensur geht

Dieser Gastbeitrag stammt von Jens Scholz, der ausdrücklich zum Kopieren und Verbreiten aufgefordert hat. Spread the word. (Und diese Einleitung stammt von Nerdcore.)

Warum es um Zensur geht

Da reiben sich gerade so viele die Hände, daß man eigendlich ein beständiges Rauschen hören müsste. Die Idee, das Thema Kinderpornografie als Popanz vorzuschicken, um das nun geplante Internet-Zensursystem einzuführen war aber auch wirklich eine richtig gute. Hat das ja zuvor mit den Themen Terrorismus und Internet-Kriminalität nicht wirklich hingehauen, kann man hier spitzenmäßig mit dem Holzhammer wedeln und Kritiker einfachst diffamieren, indem man die eigentliche Kritik ignoriert und ihnen vorwirft, sie wollten die Verbreitung von Kinderpornografie schützen. Wie schnell schon der Vorwurf zum beruflichen und gesellschaftlichen Tod führen kann, zeigte man nur wenige Wochen zuvor ja schonmal anschaulich am Exempel Tauss (der übrigens natürlich nicht im Netz „erwischt“ wurde, sondern über Handykontakte und DVDs per Post).
Aber ich schweife schon wieder – wie es durch die Wahl dieses Themas ja auch gewünscht ist – ab.

Denn das Problem, das die Kritiker haben, ist ja natürlich nicht, daß man den Zugang zu Kinderpornografie sperren will, sondern das Sperrinstrumentarium, das man dazu baut. Schaut man sich das an, merkt man schnell: Es geht nicht um Kinderpornos und wie man dagegen vorgeht. Ging es nie.
Es geht um die Installation eines generellen technischen Systems und die generelle Art und Weise, wie es betrieben wird: Es geht darum, daß eine waschechte, diesen Namen zu Recht tragende, Zensur ermöglicht wird. Auch wenn die zunächst gesperrten Websites tatsächlich nur Kinderpornografie beinhalten (was die Liste eigentlich extrem kurz halten müsste) wäre sowohl die Technik, die Verwaltung und sogar die Psychologie installiert, um sofort eine effektive Zensur betreiben zu können.

Technik

Die Provider sollen ihre Nameserver so umbauen, daß Webseiten, die das BKA aussucht und ihnen nennt, nicht erreichbar sind und dem Nutzer bei Aufruf stattdessen eine Sperrseite angezeigt wird. Gleichzeitig soll das BKA jederzeit abrufen könne, welche Nutzer auf Webseiten aus dieser Liste zugreifen wollten und stattdessen auf die Sperrseite geleitet wurden.

Ein normaler Internetnutzer, der seinen Nameserver nicht auf einen freien DNS-Server umstellt, sieht bestimmte Seiten nicht und erhält die Mitteilung, er wolle sich gerade Kinderpornografie ansehen. Ob das stimmt, weiß er nicht und nachprüfen darf er das auch nicht, da ja schon die Suche nach Kinderpornografie strafbar ist. Der Nutzer muss sich in diesem Moment weiterhin im Klaren sein, daß er gerade etwas getan hat, was das BKA als illegal ansieht und als Grund ansehen kann, gegen ihn vorzugehen.
Die allein schon technisch verursachten Risiken für jeden Internetnutzer sind immens, noch dazu, weil man damit auch noch eine perfide Beweisumkehr eingebaut hat: Sie müssen künftig ihre Unschuld beweisen, z.B. daß sie „versehentlich“ die gesperrte Seite angesteuert haben. Viel Spaß beim Versuch, Richtern TinyUrls, iFrames, Rootkitangriffe, Hidden Scripting und so weiter zu erklären, wenn Sie überhaupt wissen, was das ist.

Die Lösung zunächst: Den Nameserver umstellen, um sich dieser Gefahr vollständig zu entziehen. Geht schnell und kann jeder.

Die Technik ist allerdings interessanterweise das kleinste Problem in dieser ganzen Geschichte. Es gibt Staaten, die in ihren Zensurbemühungen schon wesentlich weiter sind. Die Menschen dort können dennoch sowohl anonym als auch unzensiert das Internet benutzen. Das Internet ist von Nerds gebaut worden. Ein Staat kann da so viel fordern wie er will, er wird das Netz auf technischer Ebene never ever kontrollieren können.

Verwaltung

Hier liegen die springende Punkte, die das Ganze zum Zensurinstrument machen:
1. Die gesperrten Inhalte stehen auf einer Liste, die das BKA direkt und ohne Prüfungsinstanz erstellt und die die Provider möglichst ohne sie anzuschauen zu installieren haben. Es entscheidet kein Richter über den Inhalt, es überprüft keine unabhängige Institution über die Rechtmäßigkeit, es gibt keine Regelung, wie Adressen überhaupt wieder von der Liste gelöscht werden könnten. Die Polizei, die Verbrecher verfolgt, bestimmt, welcher Wunsch nach welcher Information ein Verbrechen ist. Vorab zu definieren, was ein Verbrechen ist und hinterher darüber zu entscheiden, ob ein Verbrechen begangen wurde ist aber nicht Aufgabe der Polizei.
2. Die Liste ist geheim. So lange diese Liste nicht in die Öffentlichkeit gerät kann alles drinstehen und nichts davon muss gerechtfertigt werden. Wer das in Frage stellt wird zum Verdächtigen. Wie Zensur in Reinform eben funktioniert.
3. Der Gesetzentwurf ist schwammig genug, daß das BKA im Prinzip alles in die Liste setzen kann. Da im Web jeder Inhalt nur einen Klick weiter vom letzten entfernt ist und das Gesetz möchte, daß auch „mittelbare“ Seiten gesperrt werden können, kann somit de facto auch jede Seite gesperrt werden.
4. Das System soll die direkte Verfolgung von Zugriffen erlauben. es wird nicht nur gesperrt, sondern es kann auch nachgeschaut werden, wer sich die gesperrten Seiten ansehen will. Dies kann dann Anlass für verdeckte Überwachungen, Hausdurchsuchungen und andere existenzbedrohende Vorgänge sein.
Die Staatsanwälte dieses Landes üben ja seit einiger Zeit kräftig an der Vorverurteilungsfront, indem Sie inzwischen gerne mal Pressemitteilungen über eingeleitete Verfahren rausgeben und die Presse direkt zu möglichst spektakulär und öffentlichkeitswirksam inszenierten Verhaftungen mitnehmen (Zumwinkel, Tauss, Frau B.).

Psychologie

Womit wir schon beim gewünschten Effekt von Zensur sind: Die Einführung der Schere im Kopf. Die wirksame Selbstzensur, weil man nicht weiß, was eventuell passiert, wenn man zu laut und deutlich Kritik äußert. Die Geheimhaltung der Sperrliste und ihre völlige Unverbindlichkeit durch das Fehlen jeglicher Kontolle ist ein bewußt eingesetzes Instrument, um Verunsicherung zu erzeugen.
Ein anderes ist die Verknüpfung mit dem Thema Kinderpornografie, womit wir wieder am Beginn dieses Artikels wären. Man weiß ja inzwischen, daß auch nur der leiseste Ruch, man könnte eventuell irgendwas mit Kindesmissbrauch und Pädophilen zu tun haben, die Existenz vernichten kann, selbst wenn hinterher rauskommt, daß tatsächlich nichts an den Vorwürfen dran war. Wie nahezu generell nichts rauskommt. Das ist ein so extrem starkes und wirksames Druckmittel, was natürlich beispielsweise ein Herr Gorny sofort erkennt, weil sein Versuch, diese Schere im Kopf einzuführen (durch den Versuch, Filesharing als schreckliches Verbrechen zu diskriminieren), wirkungslos blieb und er sich nun an den besser funktionierenden Trigger dranhängt (indem er Urheberrechtsverletzung mit Kindesmissbrauch gleichsetzt).

Die Justizministerin gibt dann noch Tipps in die richtigen Richtungen, die natürlich prompt reagieren. Überhaupt, das mal ganz nebenbei, finde ich es immer wieder seltsam, daß Frau Zypries immer wieder als Warnerin vermittelt wird. Dabei war – so sagt sie zumindest – sie es, die den Gesetzentwurf gegenüber dem Vorabvertrag von Frau von der Leyen verschärfen ließ und dieser nun schon den Zugriff auf Stopp-Seiten verfolgen lassen will.
Um die Frage zu beantworten, warum und wann es in einer Gesellschaft überhaupt dazu kommen kann, daß ein Teil davon meint, einen solchen Eingriff vornehmen zu müssen und der andere Teil (zu dem ich u.a. mich zähle) darin ein so massives Unrecht sieht, das es zu bekämpfen gilt, kann man sich bitte den Artikel „Kampf der Kulturen“ drüben bei netzpolitik.org durchlesen.